Eberhard Hesse (1911-1986) gehörte zu jener Gruppe Berliner Sozialdemokraten, deren politisches Leben durch die totalitäre Erfahrung im "Zeitalter der Extreme" geprägt war. Im Vergleich zu namhaften Zeitgenossen wie Willy Brandt oder Fritz Erler hat Eberhard Hesse wie viele andere jedoch kaum Spuren im kollektiven Gedächtnis von Stadt und Partei hinterlassen. Im Rahmen eines kleinen biographischen Projekts wird sowohl die Biographie als auch das politische Wirken Eberhard Hesses aufgearbeitet und in diesem Blog begleitend darüber informiert.



Kurzbiographie

Eberhard Hesse wurde am 28. Juni 1911 als Sohn eines Schulleiters in Berlin geboren. Im Jahr 1930 trat er in die SPD und die Sozialistische Arbeiter-Jugend (SAJ) ein und leitete seit 1932 die SAJ im Bezirk Neukölln. Angesichts des Niedergangs der Weimarer Demokratie seit 1932 ("Preussenschlag") und der nationalsozialistischen Machtergreifung war Hesse zusammen mit weiteren Berliner SAJ-Führern (die sog. "Siebenergruppe", der unter anderem Fritz Erler angehörte) maßgeblich an der Vorbereitung illegaler Tätigkeiten beteiligt und wurde dafür noch am 11. April aus der SPD ausgeschlossen. Aufgrund seiner Widerstandstätigkeit in der linkssozialistischen "Org", besser bekannt unter dem Namen "Neu Beginnen", für die er schon im Herbst 1932 angeworben worden war, wurde Eberhard Hesse schließlich am 23. April 1936 verhaftet und später zu eineinhalbjahren Gefängnis verurteilt. Über die nächsten Jahre in Hesses Leben ist bisher lediglich bekannt, dass er den zweiten Weltkrieg in sowjetischer Kriegsgefangenschaft überlebte.
In der Berliner Nachkriegs-SPD bekleidete Hesse zahlreiche Ämter und Funktionen, so war er von 1951-1961 Leiter der Pressestelle der Berliner SPD und danach bis 1971 Landesgeschäftsführer. Von 1956-1971 war Eberhard Hesse für den Wahlkreis Britz-Buckow I Mitglied des Abgeordentenhauses und von 1967-1977 Kreisvorsitzender in Neukölln. Parallel zu diesen Funktionen war er von 1947-1974 Geschäftsführer des SPD-nahen August-Bebel-Instituts. Während seiner Zeit als aktiver Politiker war Hesse nicht zuletzt aufgrund seines strikten Abgrenzungskurses gegenüber der SED und der APO bekannt, die ihn zu einem führenden Vertreter einer antitotalitären Ausrichtung innerhalb der Berliner SPD machten.
Am 28. März 1986 starb Eberhard Hesse nach langer Krankheit in Berlin.
Über den "privaten" Eberhard Hesse ist nur wenig bekannt und überliefert, daher sei etwas umfangreicher aus dem Tagebuch des sino-amerikanischen Historikers Hsi-Huey Liang zitiert, der am 19. Februar Eberhard Hesse als junger Doktorand aufsuchte:

"Then I went to Ziethenstrasse, the main office of the Social Democratic Party in Berlin. Met a very interesting Herr Eberhard Hesse in room no. 11. (Kind man with a brutal face, a flat broken nose.) Hesse is a journalist. The office looks shabby (the Ziethenstrasse is a proletarian quarter) but he was talkative. He didn't expect me to know very much for he told me some elementary facts on German history and was stupefied to find out that I had heard of the old three-class voting system in Prussia. As to archival materials: he said they had all been lost in the war. A complete set of the SPD newspaper, Vorwärts, exists only in Tübingen. (Here, Hesse was wrong: the Berlin Landesarchiv also has a set, though it is not complete.) Then he told me that older SPD men like him feel melancholy when they compare the political climate today with the lively atmosphere within the socialist movement before the First World War. In the old days workers spent their whole free time with party organizations: attending club meetings or talking with each other in SPD pubs (Kneipen). This tradtition no longer exists. The reason may be the German working-class movement's failure to fight fascism arms-in-hand, the way the Austrian comrades had fought in 1934. Hesse thinks it will take decades before the German Socialist can overcome the memory of their weakness in the face of Nazism. Today, Austria with some 6 million inhabitants has 650,000 SPÖ members, which represents 10% of the population. The Federal Republic of Germany has more than 40 million inhabitants, but the SPD members number only 650,000. Hesse also told me that the Mietskasernen (the worker's tenements, designed in the 1860s) were built five storys high in order to render barricades less effective. He will introduce me to someone who can conduct me through the working-class districts and show me their problems."

Aus: Liang, Hsi-Huey: Berlin before the wall. A foreign student's diary with sketches, New York/London 1990.